So war’s: 2023-09-17 Lesung & Jazz „Sein oder Nichtsein“ Sebastian Gahler / Gerhard Ferenschild

Literatur und Jazz – eine ausgewogene Mischung bringt’s …  Wie banal! hätte er geschimpft, der Zadek.

Wer kennt denn überhaupt noch Peter Zadek, das enfant terrible in der deutschen Theaterszene der Siebziger?

Lang ist’s her. Oder doch nicht?

Dieser Regisseur, der im Aufbruch nach den Fünfzigern den „Muff unter den Talaren“ beim Theater entfernen wollte, die Schauspieler nicht mehr als Abziehbilder von Zampanos Gnaden, als wandelnde Sprechsäulen haben wollte, sondern den Hamlet in jedem Einzelnen herauskitzeln wollte. Warum also nicht eine bejubelte Inszenierung im Bochumer Schauspielhaus zehn Jahre später einfach umdrehen, den selben Schauspielern andere Rollen im gleichen Stück zuordnen?

Ein Risiko, bei der die Luftlinie zum Skandal nicht lang ist. Hamlet als Frau, eine Frau als Hamlet? Hätte er nicht eine Schauspieltruppe gehabt, die manchmal noch stärkere Nerven als Zadek selbst gehabt hatte, wäre das vorneherein gescheitert. So ließ er sie machen, und sie machten.

Das Geschrei der Presse war kennzeichnend für die Stimmung damals:
„Ein Totengräber des Theaters. Die Kapitulation vor dem Menschen ist diese Vorstellung, einfach grauenhaft. Ein Missbrauch von Shakespeare, ein Missbrauch der Schauspieler, zum Kotzen“ , solche Pressestimmen sammelte  der NDR.

Die Entwicklung einer famosen Angela Winkler zum Hamlet, die heute von Feministinnen bejubelt worden wäre (auch wenn sie dem Wüterich Zadek selber die Pest an den Hals gewünscht hätten), wurde von Klaus Pohl, Mit-Schauspieler, in „Sein oder Nichtsein“ einer Dokumentation (wenn es denn eine war),  festgehalten.

Und diese Doku war die Grundlage für den Rezitator Gerhard Ferenschild, den Zuhörern im QQTec dieses vielstimmige Sittenbild  in Auszügen näher zu bringen.

Im Halbdämmer, nur im schwachen Licht einer Leselampe, standen plötzlich Zadek und seine Lieblingsschauspieler im Raum, definierbar, wiedererkennbar, selbst das Schlurfen eines Otto Sander wurde vorstellbar.

 

     

 

Der Kampf von der Idee durch die Proben bis zur Erstaufführung in Strassburg, Ferenschild ließ es einen erleben.

Geradezu gruselig gut: Das Geschrei und das rücksichtslose Poltern von Zadek, das Stöhnen der Schauspieler unter dem Druck (Gerhard Ferenschild könnte auch vom Aussehen als Wildgruber der Zweite durchgehen), die Verzweiflung einer Angela Winkler, die immer hinschmeissen wollte. Ferenschild ließ jede Figur lebendig werden, ob ganz leise oder ganz laut oder notfalls auch im Dialekt. Der Film im Kopf wurde immer realistischer.

Sebastian Gahler am Piano rundete mit seinen Improvisationen die einzelnen Abschnitte stimmig ab und fing die Zuhörer wieder ein – seine melancholische Intonation des Ausbruchs von Winkler zum rettenden Bienenhof in den Vogesen, genau auf den Punkt getroffen!

 

 

 

 

 

 

 

Vielleicht gerade deshalb, weil es auf eine Lesung im Halbdunkel reduziert war,
ohne Bild, mit einer eindrücklichen Tonspur: Ganz großes Kino! Nein, kein Widerspruch bitte!.

Nicht endend wollender Beifall im ausverkauften Haus, und da es ja nur ausgewählte Auszüge sein konnten,
war auch noch Text übrig für eine Zugabe, mit einer nachdenklichen Hommage an Ulrich Wildgruber.

mikkosch

 

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